Content und Kommunikation: Trends und Learnings

Wir fragen Deutschlands größte Agenturen

Kreativagenturen: Trends in Kommunikation und Content Marketing

Pascal Volz, FischerAppelt | Daniel Menges, Freunde des Hauses | Gerrit Grunert, Serviceplan | Sebastian Riecken, Pilot | Nicolai Shimmels, Ressourcenmangel Hamburg

Neues wagen, den Blick weiten: Wir wollten wissen, welche Trends Deutschlands größte Kreativagenturen aus dem außergewöhnlichen Jahr 2020 ableiten, wie sie Content Marketing aktuell wahrnehmen, und was sie ihm für die nächsten Monate in die Agenda schreiben. 

Kreative in Führungsverantwortung von Ressourcenmangel und Freunde des Hauses, beides Agenturen der HirschenGroup, sowie von Pilot, Serviceplan und FischerAppelt skizzieren hier ihre Erfahrungen und leiten Trends ab.

Nahezu einstimmig lautet das Credo: Kommunikation wurde in diesem Jahr digitaler, zugleich kleinteiliger, volatiler, situativer, spontaner. Projekte wurden gestoppt, wieder gestartet, dann doch verschoben – eine große Herausforderung, aber „das neue Normal“, meint Daniel Menges, Geschäftsführer Digital von Freunde des Hauses.

Doch solche Turbulenzen brauchen ihre ruhigen Gegenpole: Auftraggeber, die man kennt, die einem vertrauen, deren Bedarf man einschätzen kann. „Bestandskunden-Marketing wird wichtiger – zulasten von Neukundengewinnung“, so Pascal Volz, Geschäftsführer von FischerAppelt, Performance. Nicolai Shimmels, Geschäftsführer von Ressourcenmangel Hamburg, erkennt gar eine neue Qualität in der Unternehmen-Kunden-Beziehung: „Viele Unternehmen und Menschen standen – vielleicht erstmals – auf derselben Seite.“  

Gerrit Grunert, Senior Advisor bei Serviceplan PR & Content, staunt vor allem über das Tempo der Digitalisierung von Messen und Workshops in einer ganz neuen Qualität und mit neuen Playern:    

Im Wochentakt gingen neue Software Startups wie Collaboard an den Start, um Platzhirschen wie Miro das Thema ‚Collaborative Whiteboarding’ streitig zu machen. Dieser Wettbewerb pusht Innovation. Gleichermaßen werden aus schnöden Webinaren nun digitale Events mit Live-MAZ, Kulisse und Green Screen. Das ist eine neue Chance für Unternehmen, die sonst ausschließlich für das TV gearbeitet habe. Ihre neuen Auftraggeber kommen aus allen Branchen.

Zu den Gewinnern zählt er in diesem Umfeld auch Elgato, ein traditioneller Technik-Ausstatter für Twitch-Streamer. Er gerät in einen mehrmonatigen Lieferrückstand, weil, so Grunert, "hunderttausende Mitarbeiter im Homeoffice ihren Schreibtisch mit Key Lights, Mikrofonarmen und Mini-MAZ in ein virtuelles Studio verwandeln". Dass nunmehr jeder professioneller Publisher werden kann und viele das auch wollten, hält Grunert für "grandios".

Volz von FischerAppelt sieht zwischen den großen Marken und den Start-ups auch die Verlierer: „Die großen Marken sind überall präsent, während die kleinen Marken teils weniger Präsenz zeigen oder teils so zögerlich agieren, dass sie weitere Marktanteile an die Großen abgeben.“


Was wird  bleiben, wenn die Krise ausgestanden ist? 

Vieles, ist Serviceplan-Grunert überzeugt: Physische Kontakte werden seltener – und wenn, dann als „Premium Event“ wahrgenommen werden. Das gilt für den eigenen Agenturvertrieb wie für den des Auftraggebers mit seinen Kunden. Shimmels von Ressourcenmangel sieht eine neue Qualität von Kommunikation am Horizont: Viel mehr Auftraggeber als bisher werden sich „auf die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz ihrer Kommunikation einlassen“. Sebastian Riecken, Leiter Beratung Content Marketing bei Pilot, sieht gute Zeiten für das Content Marketing „mit neuen Anknüpfungspunkten“ durch verstärkte digitale Angebote. Gleich drei Trends werden die Pandemie aus Menges Sicht überdauern: 

1. Digitalisierung: Alle haben Blut geleckt und werden sie weiter vorantreiben.
2. Projektgeschäft: Die Bewegung der Branche in diese Richtung schon vor der Pandamie, wurde beschleunigt und wird uns als dauerhafter Zustand erhalten bleiben.
3. Anspruch der User: Weil sich alle stärker in das Digitale bewegt haben, sind wir als User anspruchsvoller geworden. Hochwertige User Experience und digitale Services werden noch wichtiger.

Volz von FischerAppelt rollt das neue Normal vom Ende her auf: Die Kampagnenergebnisse werden transparenter. „Die Blackbox gehört endgültig der Vergangenheit an.“ Naheliegende Begründung: Unternehmen erkennen, dass sie nur schnell handeln können, wenn sie in Echtzeit alle relevanten Informationen über ihre Kampagne haben.


Wo muss beim zunehmend datengetriebenen Marketing noch nachgelegt werden?

Die Frage unterstellt stillschweigend, dass das Marketing überhaupt am Daten-Tropf hängt. Tatsächlich wird das von keinem aus der Runde bezweifelt. Volz von FischerAppelt, promovierter Mathematiker und überzeugter Daten-Evangelis,t sieht alle Kampagnen des Hauses als datengetrieben und jede Optimierung zu „100 Prozent datenbasiert“. 

Bescheidener gibt sich Menges von den Freunden des Hauses: "Wir werden jeden Tag besser." Dazu baut man intern Expertise auf und schließt externe Partnerschaften. Menges Credo: "Data nicht als vertikale Abteilung sehen. Die Arbeit mit Daten muss in die alltägliche Arbeit aller Disziplinen einfließen." Eine Herausforderung sieht er noch im schnellen und effektiven Interpretieren großer Datenmengen und in der Automatisierung dieser Prozesse.

Auch für Menges Hirschen-Kollegen Shimmels von der Group-Tochter Ressourcenmangel stehen "Technik und besonders Marketing Automation" für 2021 auf der To-Do-Liste. Und auch für Riecken von den Piloten ist das Thema ein „Lernprozess, der nie beendet sein wird“.

Was  schon jetzt geht in der datengetriebenen Content-Erstellung, dazu gibt Pascal Volz, FischerAppelt, einen Einblick: 

FischerAppelt crawlt bei jeder Themenfindung das Internet nach Fragen, die User zum Thema stellen. Diese Fragen werden dann auf unseren holistischen Landingpages beantwortet. Die Antworten werden im Zuge des Content-Marketings an die richtigen Zielgruppen ausgespielt, so dass diese ihre Frage beantwortet bekommen. Oft befragen wir im Vorfeld auch User – ohne teure Marktforschungsstudien – und können so die Themen filtern, die unsere Zielgruppe wirklich bewegen.

Content Marketern gibt Volz mit auf den Weg, mit Daten den Fokus auf Fakten zu legen, statt auf Gefühle zu setzen. Nur so erreiche man eine Userzentrierung, statt das Weltbild des Marketers ins Zentrum zu rücken. Daniel Menges, Freunde des Hauses, empfiehlt, sich allmählich von statischen Personas wegzubewegen und anhand von Daten personalisierten Content auszuspielen: 

Dynamic Creative Optimization (DOC) wird zwar im Bereich von Ads immer besser praktiziert, aber oft nicht in der kompletten User-Journey abgebildet. Wir benötigen vor allem auf Websites und bei digitalen Services mehr Dynamisierung und Personalisierung.

Nicolai Shimmels, Ressourcenmangel Hamburg, plädiert für ein entspanntes Mensch-Maschine-Miteinander:

Kreative, Redakteure und Autoren dürfen keine Angst vor Daten haben, und Agenturen brauchen Tools und die nötigen Kompetenzen, um die richtigen Daten zu erheben und auszuwerten. 
 

Welche Rolle spielen Content und Content Marketing beim Branding – heute und in Zukunft?

Das Mediennutzungsverhalten über alle Altersgruppen hinweg lässt für keinen mehr Zweifel aufkommen: Die Bedeutung von Content wächst. Unbestritten ist diese Entwicklung bei den Kreativen der HirschenGroup. Shimmels betont den Impact: „Ohne Content hat der Wirkungskreis von Marken einen sehr beschränkten Radius.“ Kollege Menges stimmt zu: Allein eine Brand-Message wie mit der Schrotflinte in die Welt zu schießen, genüge nicht. Vielen Brands gelinge es inzwischen, vor allem digital gute Stories zu erzählen, Themen zu besetzen und Dialog zu schaffen – für mehr Wahrnehmung und Markencharakter. Auch Riecken von den Piloten sagt: 

Content spielt eine zentrale Rolle bei aktuellen Branding-Kampagnen. Kunden möchten erfahren, dass die Marke sie versteht, authentisch ist, Experte in den Anwendungsfeldern ihrer Produkte ist und möglichst genau ihren Anforderungen und Wertemodell entspricht. So viele Markenbotschaften ganzheitlich kommunizieren, das kann nur Content Marketing.

Serviceplan und FischerAppelt bringen noch deutlicher den betriebswirtschaftlichen Aspekt ins Spiel: Serviceplan-Grunert plädiert für Nachfrage-orientierten Content. Denn "wenn die Marken-Message niemanden interessiert, können wir mit ihr auch kein Geld verdienen." FischerAppelt-Volz stimmt zu: "Content kann Konsumenten oder Nutzern einen Grund abseits des Preises geben, zu kaufen: es ist ein Mehrwert, den die Nutzer erleben." Dazu müsse Content im richtigen Moment an die richtige Zielgruppe im passenden Kanal ausgespielt werden. Volz: "Ohne Content-Marketing hätten wir nur Content-Friedhöfe."  
 

Wo muss am Content Marketing noch gefeilt werden?

Pascal Volz sieht noch Defizite bei der zielgenauen Content-Vermarktung und sieht in niedrigen Klickraten einen Hinweis, dass Content an die falsche Zielgruppe ausgespielt wurde. Gerrit Grunert hofft auf künftige Vorteile bei der Skalierung durch Künstliche Intelligenz und hat offenkundig schlechte Erfahrungen mit dem State of the Art:  „Wenn künstliche Intelligenz einen Beitrag herstellen könnten, bei dem man nicht sofort das Datenblatt, mit dem die Maschine gefüttert wurde, erkennt, dann würde mich das sehr glücklich machen.“

Daniel Menges warnt dagegen vor Content-Überfrachtung: Frequenz, Zielgruppen, relevante Themen sind für ihn die Schlüssel, an denen noch gefeilt werden muss, um User zu erreichen. Ähnlich sieht es Sebastian Riecken, wenn er für Content und Performance Marketing mehr Mut und spektakulärere Lösungen einfordert.  

Kollege Shimmels sucht nach klaren Strukturen: Er sieht die Zukunft zweigeteilt – in automatisiert erstellte Content Pieces und Formate mit hohem Anspruch an die Autoren. Beides müsse nachgeschärft und jeweils mit geeignetem Vokabular unterlegt werden. 

Bleibt unterm Strich die Erkenntnis: Mit Corona verstärkt sich der Trend hin zum Projektgeschäft weiter. Content erweitert den Wirkungskreis von Marken, weil er auf das Medienverhalten aller Altersgruppen einzahlt. Aber erst Content Marketing als Daten- wie Story-getriebene Disziplin sorgt dafür, dass Content seine volle Wirkung entfalten kann. Im engen User-Dialog lassen sich so die wirtschaftlichen Unternehmensziele am ehesten erfüllen – vorausgesetzt, die Customer Journey wird mit dem Content bespielt, der für den User wirklich relevant ist und ihn im passenden Umfeld erreicht. Dazu muss Content Marketing im Hinblick auf unterschiedliche Ziele und Content-Formate noch besser strukturiert, die Datenkompetenz weiter ausgebaut werden.  


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