„Die Welt braucht ein neues Betriebssystem“

BVIK-Jahrestagung

Anders Indset

Anders Indset, Foto: BVIK

Der BVIK hat sich mit seinem Tag der Industriekommunikation längst einen Namen gemacht, weil er über den Tellerrand und oft weit in die Zukunft blickt. So auch in diesem Jahr mit Referenten wie dem Wirtschaftsphilosophen Anders Indset. 

Der Rock’n’Roll Plato, so wird der norwegische Wirtschaftsphilosoph Anders Indset oft genannt. Allein schon rein optisch pflegt er dieses Image. Aber auch inhaltlich hat Indset, Sparringpartner für internationale CEOs und Politiker, einiges zu bieten. Er schürft gern tief im „Hirn“ der Gesellschaften quer über den Globus und stellt fest: Nirgendwo funktionieren mehr die Denkweisen für Herausforderungen wie Klimawandel und den Umgang mit neuen Technologien. Wissen wird heute schneller gesammelt als Weisheit. Die Gefahr, jenen die Welt zu überlassen, die das Wissen horten und interpretieren – Algorithmen und Künstlicher Intelligenz – ist groß. Indset fordert: „Die Welt braucht nicht nur ein Update, sondern ein völlig neues Betriebssystem.“ Entscheidend: eine bessere Kommunikation und ein menschlicherer Umgang miteinander. Indset:

„Wir müssen aus dem schöpfen, was uns als Menschen ausmacht. In unseren Gefühlen, Gedanken und in kleinen Veränderungen im Alltag liegt das große Potenzial.“ 
 

Eine bessere Kommunikation, diesen roten Faden griff Stefan Hentschel, Industry Leader Tech-Industrial bei Google Germany,  so auf: „Die Firmenkultur wird den Wandel treiben, nicht die Technologie.“ Die Grenzen zwischen B-to-B und B-to-C sieht er zunehmend verwischend. „Das klasssiche Bild vom B-to-B-Marketing ist überholt. Entscheidend sei das „gute Nutzenversprechen“. Und da sollte man Kunden nicht unterschätzen. Über 70 Prozent der Information im Rahmen des B-to-B-Kaufprozesses findet heute schon online statt, wie eine Studie von Bain & Company belegt. Hentschel: „Das bedeutet, Kunden beziehungsweise Einkäufer sind deutlich besser informiert über die B-to-B-Produkte oder Dienstleistungen, als das noch vor Jahren der Fall war. Das B2B-Marketing muss sich genau darauf einstellen und den Kaufprozess digital begleiten.“ Wie man diesen Prozess aktiv begleitet? Hentschel erinnert an die Google-Kultur der 20-Prozent-Projekte: Mitarbeiter können in 20 Prozent ihrer Arbeitszeit an Projekten arbeiten, die ihrer Leidenschaft und speziellen Talenten entsprechen. „Produkte wie Google News oder Google Mail wurden im Rahmen dieser 20-Prozent-Projekte entwickelt und zur Marktreife gebracht.“ In einer agilen und gleichzeitig individuellen Firmenkultur sieht er den entscheidenden Wettbewerbsvorteil, „da sich Unternehmen so jederzeit flexibel an neue Technologien und Marktveränderungen anpassen können“.


Heiko Onnen, Geschäftsführer der Wucato Marketplace GmbH, ein Spin-off der Würth Gruppe, und Petra Baumann, Director Corporate Marketing bei der Phoenix Contact GmbH & Co.KG, lieferten zur Theorie die handfeste Praxis. Beide antworten mit digitalen Plattformen auf die Kundenanforderungen. Onnen ist überzeugt, dass „Plattformen einen großen Einfluss auf die Beschaffungsprozesse im B-to-B haben werden“. Er kann den Trend mit seiner Wucato-Siegerstory untermauern: Rasantes Wachstum, ein Angebot von heute knapp vier Millionen Produkten von 70 Herstellern. Onnen: „Ziel muss es sein das Einhorn unter den Pferden zu werden“. Die Voraussetzung dazu: „Exzellente Kundenberatung, ein starkes Lieferantennetzwerk, hohe Produktqualität, saubere Prozesse und kontinuierliche Verbesserungen.“ 


Auch Petra Baumann von Phoenix Contact stellte mit Protiq einen digitalen Marktplatz vor, der sich 2017 aus dem E-Shop des 3D-Druck-Anbieters entwickelte und seither auch anderen 3D-Druckdienstleistern einen Platz bietet. Kunden können die beste Lösung für ihre Anforderungen auswählen und ihr Produkt direkt online konfigurieren und bestellen. Die Voraussetzung, um solche digitalen Geschäftsmodelle zum Erfolg zu führen, sieht Baumann klar:

„Es braucht nicht nur digitales Wissen, sondern auch eine hohe Lernbereitschaft im Unternehmen. Die Mitarbeiter sollten ausreichend Freiräume bekommen, um Neues auszuprobieren.“

 

Holger Schmidt, Digital Economist und Autor, bringt den Charme der digitalen Plattformen auf den Punkt: Die größte Stärke von Plattformen – er denkt vor allem an Riesen wie Alibaba – seien die Interaktionsdaten. Sie ermöglichen den Eintritt in immer neue Geschäftsfelder. Hinzu kommt das Ecosystem. „Das bietet den Kunden einen Mehrwert, den ein Unternehmen allein niemals in dem Ausmaß und vor allem nicht in diesem Tempo erreichen könnte.“ Auch 78 Prozent der im BVIK-Trendbarometer befragten Marketingentscheider sind überzeugt, dass Plattformen den B-to-B-Bereich in den kommenden Jahren massiv verändern. Schmidt appellierte daher an die Zuhörer, schnell zu handeln und nicht Playern wie Amazon Business, der am schnellsten wachsende Sparte im Amazon-Konzern, das Feld zu überlassen.

 

  

Den Themenblock zum New Marketing stemmten Jan Pilhar, Executive Director bei IBM, Guido Purper, Leiter Marketing Communication bei Festo, und Thomas Brückle, Bereichsleiter Marketing bei Geberit. Purper stellte klar, wer die Messlatte in Sachen Customer Experience heute legt: Nicht länger der Konkurrent, sondern Digital Leader wie Amazon und Apple. Fazit: „Ob er will oder nicht – der Marketingleiter hat heute auch einen IT-Job“, so Philhar. Der moderne Marketingleiter müsse nicht nur Marke, Botschaften und Kanäle gekonnt steuern, sondern auch die richtigen Technologieentscheidungen treffen. Bereits 2017 lag laut Gartner das Investitionsbudget des CMO für Technologie in vielen Unternehmen gleichauf mit dem des CIO, der die klassische Unternehmens-IT verantwortet. 

Guido Purper von Festo pflichtet Pilhar bei: „In den nächsten 30 Jahren wird es im Marketing keine Innovationen geben, die nicht massiv digital bzw. IT-getrieben sind.“ Seiner Meinung nach wird vor allem die Künstliche Intelligenz (KI) das Marketing und auch die Marketingorganisationen enorm verändern. IT-Skills würden daher immer wichtiger und lupenreine Marketingfunktionen schon in zehn Jahren die Ausnahme sein. Thomas Brückle von Geberit zeigte, wie es gelingen kann, völlig unterschiedliche Prozesse in Vertrieb, Marketing und IT sinnvoll miteinander zu verschränken und Daten-Silos zu konsolidieren. Entscheidend dabei sei vor allem, die Zuständigkeiten genau zu definieren und die Vertriebsmitarbeiter frühzeitig einzubinden. (siehe auch: "An Content-Marketing und Storytelling kommen wir nicht vorbei")

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