„A fool with a tool is still a fool“

Tobias Dennehy

„A fool with a tool is still a fool“

Dem Empfänger der eigenen Inhalte zu geben, was er wirklich will – genau zu dem Zeitpunkt und an dem Ort, an dem sein Interesse am größten ist - das verspricht Content Marketing. Ex-Siemens-Marketer und Berater Tobias Dennehy sieht viele Gründe, warum das, was alle wollen, langfristig dennoch schiefzugehen droht.

Wenn ich nicht dafür sorge, dass meine Inhalte auch gehaltvoll sind und idealerweise den Rezipienten sogar „zufrieden“ machen - ganz im Sinne des englischen Adjektivs „content“ -, dann werde ich nicht in der Lage sein, Menschen langfristig emotional zu binden. Denn alleine darauf kommt es an: Ich muss mich bei einer Marke wohlfühlen. Mein Bauch muss „Ja" sagen, nicht mein Kopf.

Dieses Ziel verfolgen viele Unternehmen und Agenturen aber doch bereits mit dem Storytelling?
Sie bemühen sich vielleicht. Storytelling ist ein ähnlich geprügelter Begriff wie Content Marketing: viel benutzt, oft falsch angewandt, und meist unverstanden. Aber selbst wenn ein Unternehmen tatsächlich gute Geschichten erzählt – die beste Story kann nicht rocken, wenn keiner aufs Konzert geht. Unsere medialen Zeiten sind derart komplex und verzweigt geworden, dass man dieser Komplexität nicht mehr alleine mit dem Pfeiler guter Geschichten Herr werden kann – auch wenn das schon mal ein guter erster Schritt ist. Man muss ihr auch organisatorisch, strukturell und prozessual entgegentreten und das eigene Content-Gebäude auf ein stabileres Fundament bauen, so dröge das klingen mag.

Wir sollten hier nicht von Content Marketing sprechen, sondern eher von Content-Strategie oder besser noch von einer Art „Corporate Story Architecture“. Tools und Softwareangebote können hier vielleicht unterstützen, sind aber nicht die Lösung, denn: A fool with a tool ist still a fool. Es bedarf anderer, größerer Anstrengungen.

Eine Corporate Story Architecture aufzubauen klingt in der Tat aufwändig. Wie kann das funktionieren? Und was hat Story Architecture mit Content Marketing zu tun?
Alles. Denn Content = Story. Idealerweise. Doch damit eine Geschichte verstanden wird, muss ich zunächst viel über mein Publikum wissen, aber auch über mich selbst. Das beginnt bei der großen übergreifenden „Story Arc“ eines Unternehmens, der Markengeschichte. Denn erst, wenn ich mich als Marke wirklich verstanden habe, kann ich mich auf die Suche nach Geschichten machen, die diese untermauern und belegen, die auch zu mir, zu meiner DNA passen. Alles andere ist „Me Too“ und unehrlich.



Vorausgesetzt, Sie haben die passende Story - kommt jetzt das Content Marketing ins Spiel?
Jedenfalls der Part, den Content Marketing mit dem Wort „Vermarktung“ meint: Organisatorisches, Strukturelles, Prozessuales, Technologisches – all das, womit der kreative Content-Schaffende am liebsten nichts zu tun haben will, was er aber im Zeitalter sozialer Medien haben muss. Nämlich ein organisatorisches Umfeld, das es ermöglicht, kollaborativ über Abteilungsgrenzen hinweg zu arbeiten und Themen zu setzen – zunächst unabhängig von Kanälen, Plattformen oder Zielgruppen. Ein Umfeld, das nicht nur über Monitoring auf Trends und Shitstorms reagieren, sondern agieren lässt. Die Corporate Story Architecture umreißt das ganze Bild von der Brand Story über die Brand Stories bis hin zur strategischen Brand Presence im Markt.

Content Marketing ist nicht die Lösung, nur ein Schritt in die richtige Richtung


Wenn Content Marketing im Endeffekt nur bereits vorhandene Zutaten wie Storytelling, redaktionelle Planung und das Zuhören als Voraussetzung für echten Dialog kombiniert - warum dann der ganze Hype?
Der Hype ist nicht zuletzt Ausdruck einer hochgradigen Hilflosigkeit der meisten Kommunikatoren des 20. Jahrhunderts – und das sind die meisten, die jetzt aufstehen und Content Marketing zum neuen Heilsbringer ausrufen. Positiv formuliert: Wir erkennen endlich auf breiter Front, dass die alten One-Way-Wege der Unternehmenskommunikation nicht mehr funktionieren und suchen nach neuen Wegen. Aber Content Marketing ist nicht die Lösung, nur ein Schritt in die richtige Richtung.


Und wo sollte der Weg Ihrer Ansicht nach hinführen?
Das Ziel heißt Co-Creation, bekannter unter dem Subbegriff Crowdsourcing. Kurzfristig gilt das für jedes einzelne Stück Content, langfristig für die gesamte Weiterentwicklung einer Marke. Früher konnte ich mir als Unternehmen mit Brand Agentur und Vorstand noch schön zurechtbacken, wer ich denn sein möchte, und das dann mit voller medialer Wucht und unglaublichen Budgets in den Markt feuern. Doch heute feuern die Menschen zurück, Lügen fliegen auf, Unauthentisches wird sofort von der Masse oder ihren medialen Anführern aufgedeckt und gegen einen verwendet. Also warum nicht gleich diese Masse, die mir ja nicht prinzipiell immer kritisch gegenübersteht, zu meinen Ko-Kreatoren machen, zu Ko-Autoren meiner Markengeschichte und dadurch zu echten Botschaftern?


Bleibt noch immer die Frage: Woher kommt die Inspiration für guten Content und wer schafft ihn? Werden jetzt mehr Journalisten in Unternehmen gebraucht?
Absolut. Oder besser: journalistisches Denken und Arbeiten. Es geht darum, ein Gespür für Menschen und den hinter den Fassaden der Corporate Messages und Big Data schlummernden Geschichten zu entwickeln. Zu lernen, dass Storytelling anstrengender und manchmal auch langwieriger ist als die Entwicklung trockener Unternehmensbotschaften auf Power Points, dass das Ergebnis aber für alle Seiten langfristig erfolgversprechender und befriedigend ist. Ich will nicht sagen, dass dies alles inhouse umgesetzt werden muss. Manchmal ist es auch gut, auf externe, frische und unverbrauchte Ansätze zurückzugreifen. Allerdings ist ein Mindestmaß an Grundverständnis für journalistisches Herangehen an Content, gepaart mit dem Wissen um interne Management-Barrieren und externe Kundenanforderungen sicherlich nicht verkehrt.


Der amerikanische Content-Marketing-Guru Joe Pulizzi meint, sämtliche Sales-Komponenten sollten aus dem Content entfernt werden – ist das realistisch?
Diese Sichtweise halte ich nicht nur für unrealistisch, sondern auch für unehrlich. Denn Hand aufs Herz: Kein Unternehmen, das an Shareholder Value, Verkaufszahlen und Profit gemessen wird, ist wirklich darauf aus, mich als Rezipienten bedingungs- und selbstlos zu unterhalten und amüsieren! Der Call-to-Action „Kauf mich, Du Sau!“ ist einfach subtiler, versteckt hinter dem „More“-Button oder eben weiter unten im Sales-Funnel. Und selbst hinter Kommunikationsaktivitäten auf der Image- und Awareness-Ebene und dem Wunsch, eine „Love Brand“ zu werden, steckt früher oder später die Gier nach Profit und das Interesse, das eigene Produkt zu verkaufen. Altruismus und Wirtschaft? Zwei verschiedene Welten. Insofern Joe: Re-think.

Die Fragen stellte Leonie Rouenhoff von der Akademie der Deutschen Medien

Tobias Dennehy, Corporate Story Architect und Blogger, ist Referent auf dem Abendgespräch Social, local, mobile - Content Marketing und Kundenkommunikation 2020 der Akademie der Deutschen Medien am Donnerstag, 30. Juli in München.

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