Ein starkes "Wir" für starke Unternehmen

Robin Bachmann, Kearney

Robin Bachmann, Kearney: Warum das Wir-Gefühl so wichtig ist

Quiet Quitting ist auch in deutschen Unternehmen auf dem Vormarsch. Gegen die schwindende Bindung der Beschäftigten hilft eine stärkere Wir­-Kultur – auch unter Füh­rungskräften. Kearney-Manager Robin Bachmann, bei der Unternehmensberatung auf strategische Transformation spezialisiert, erklärt warum. 

Es ist ein alarmierender Befund: Immer mehr Angestellte in Deutschland verlieren die Bindung zu ihrem Unternehmen – und leisten oft nur noch Dienst nach Vorschrift. „Quiet Quitting“, also die innere Kündigung, ist längst zu einem Massenphänomen unter Beschäftigten geworden, wie eine Studie von Gallup zeigt. Die verringerte Bindung hat gravierende Auswirkungen – in vielerlei Hinsicht: Weil Beschäftigte nicht mehr aktiv für Unternehmen werben, sinken deren Potenziale für Personal- und Umsatzwachstum. Darüber hinaus unterstützen sie nicht die Transformationsprozesse, die so viele Firmen derzeit durchlaufen, und hemmen damit wichtige Anpassungsschritte in Richtung Zukunftsfähigkeit.

Doch wie können Mitarbeitende wieder an Bord geholt und neu für das eigene Unternehmen begeistert werden? Eine zentrale Rolle spielt hier das Verhalten von Führungskräften. Um Zugehörigkeit und Engagement zu fördern, ist es wichtig, die überholte, aber leider immer noch weitverbreitete "Great Man Theory of Leadership" endgültig abzulegen – also die Annahme, dass einzelne Personen an der Spitze, häufig Männer, mittels ihrer Kraft und ihres Wissens quasi im Alleingang über Wohl und Wehe von Unternehmen entscheiden.

An deren Stelle sollte eine gelebte "Wir-Führung" treten, sollten sich Führungskräfte als Teil des Teams verstehen und auch zum Nutzen des Teams handeln. Denn ein derartig kollaborativer Charakter von Führung bezieht die einzelnen Beschäftigten mehr ein und fördert deren Bindung an das Unternehmen sowie das Engagement.

Wir-Sprache: mehr Management-Erfolg

Wie das gelingt? Ein guter erster Schritt ist die richtige Sprache: Wissenschaftliche Studien zeigen, dass allein die Verwendung von Wir-Sprache die Wahrnehmung von Zugehörigkeit wirkungsvoll beeinflussen kann, eine stärkere Verbindung zwischen den Menschen schafft und zu mehr Engagement führt. Es ist eine Win-win-Situation, denn: Die Nutzung von Wir-Sprache schafft nicht nur mehr Bindung unter den Beschäftigten, sondern macht tatsächlich auch Führungskräfte erfolgreicher.

Dieser Zusammenhang zeigt sich deutlich bei Politikern. Bei den australischen Präsidentschaftswahlen etwa waren diejenigen Kandidaten, die häufiger "wir" in ihren Wahlkampfreden nutzten, wesentlich häufiger auf der Gewinnerseite als ihre Gegenkandidaten. Über einen Zeitraum von rund hundert Jahren betrachtet haben so bei 35 von 42 Wahlen die Kandidaten mit mehr Wir-Sprache gewonnen. Eine Studie (online verfügbar ab 1. Juli) zu allen seit 1949 im deutschen Bundestag gehaltenen Reden zeigt, dass dies auch für ein breites Spektrum von Führungspersonen gilt. Demnach besaßen Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die häufiger die Wir-Sprache benutzten, auch signifikant bessere Aussichten auf eine Wiederwahl.

Wir-Sprache: mehr Nettogewinn

Auch in der Geschäftswelt haben Studien einen positiven Zusammenhang zwischen der Verwendung von "wir" durch CEOs und der Leistung des DAX-Unternehmens im darauffolgenden Jahr hergestellt. Demnach entspricht jedes zusätzliche "Wir"- Pronomen in CEO-Jahresberichten einem durchschnittlichen Nettogewinn von etwa 820.000 Euro. Darüber hinaus reagieren Investoren positiv auf die Wir-Sprache von CEOs bei der Gewinnberichterstattung. Das deutet darauf hin, dass Erfolg als kollektive Anstrengung anerkannt wird. Interessant: Geht es um die Verlustberichterstattung, wird die Ich-Sprache honoriert. Sie zeigt nämlich, dass seitens der CEOs eine individuelle Verantwortung für Misserfolge übernommen wird.

Ausgehend von den wissenschaftlichen Befunden zur Bedeutung der Wir-Sprache hat Kearney deren aktuelle Verwendung unter DAX-CEOs untersucht. Dafür haben wir die relative Häufigkeit von Wir-Wörtern in den Geschäftsberichtsschreiben der CEOs untersucht und dabei deutliche Unterschiede zwischen den Branchen festgestellt. In den Sektoren Automobil, Luft- und Raumfahrt und Verteidigung, Konsumgüter sowie Finanzdienstleistungen gab es einen höheren durchschnittlichen Wir-Gebrauch, während er in den Sektoren Chemie, Gesundheit, Energie und Transport geringer ausfiel.

Und welche Unternehmen waren die Spitzenreiter? Die fünf CEOs, die "wir" am häufigsten verwendet haben, waren Ola Källenius (Mercedes-Benz Group), Robert Gentz (zusammen mit dem gesamten Vorstand, Zalando), Oliver Blume (Volkswagen), Oliver Bäte (Allianz) und Lars Wagner (MTU Aero Engines). Die Unterschiede zwischen den Unternehmen zeigen, dass es nicht nur um branchenspezifische Kontexte geht, sondern auch um die individuelle Unternehmensführung.

Quellen
Screen 1+2: Bindung deutscher Mitarbeiter:innen 2019 2023 in % / Gallup
Screen 3: Wo "wir" großgeschrieben wird / Kearney

Auch wenn CEOs ihre Geschäftsberichtsbriefe nicht persönlich verfassen, fungieren sie doch als Barometer für die Führungs- und Kommunikationskultur des Managements, die das gesamte Unternehmen maßgeblich prägt. Unsere Ergebnisse zur Wir-Sprache bieten einen neuen Blick auf Führung und Kultur in DAX-Unternehmen und einen ersten Anhaltspunkt, wo Potenzial bestehen könnte, das "Wir" im Unternehmen zu stärken.

Angesichts des besorgniserregenden Tiefstands von Mitarbeiterbindung und Vertrauen in die Führung bei deutschen Unternehmen, ist es unerlässlich, dass C-Level-Teams eine Wir-Führung in ihrer eigenen Teamentwicklung sowie in unternehmensweiten Führungs- und Kulturinitiativen stärken. In unseren Kearney-Engagements treiben wir das Teamplay innerhalb des C-Level-Teams voran. In organisationsübergreifenden Pro- grammen mit innovativen Verhaltensinterventionen und digitalen Coaching-Tools befähigen Führungskräfte auf allen Ebenen, die Wir-Kultur im Unternehmen voranzutreiben. Denn – und das ist unsere ureigene Überzeugung: Unternehmen können nur stark sein, wenn sie auch ein starkes "Wir" haben.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Kearney-Entscheidermagazin impact, Ausgabe 58.
Herausgeber: A.T. Kearney GmbH, Düsseldorf
Konzept, Redaktion, Gestaltung:
SZ Scala GmbH, Düsseldorf


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