"Jetzt zählt die Persönlichkeit"

Frank Ohlsen, Code Red.

Frank Ohlsen: Darum arbeitet Code Red. jetzt fully remote

Frank Ohlsen: Darum arbeitet Code Red. jetzt fully remote

Code-Red. ist den Schritt zu "fully remote" gegangen. Was es braucht, damit der Weg dorthin gelingt, welchen Herausforderungen man sich in der Geschäftsführung stellen muss und wo es noch klemmt, davon erzählt der Hamburger Co-Founder Frank Ohlsen im Interview mit LOUT.

Herr Ohlsen, vor welche Herausforderungen steht man als Führungskraft, wenn man Change-Management mit Blick auf Digitalisierung so konsequent denkt, wie Sie das gerade bei Code Red. vormachen?

Frank Ohlsen: Ich glaube, man muss es wollen. Wenn man sich im Kern nur in der Videokachel trifft, muss man viel aktiver sein und sich ehrgeiziger kümmern. Es gibt so viele Vermeidungsstrategien im digitalen Miteinander – wenn man es nicht wirklich will, dann funktioniert es nicht.

Und was hilft gegen die vielen Vermeidungsstrategien?

Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, nicht immer auf den speziellen Anlass oder einen Projekt-Meilenstein zu warten, sondern auch mal zwischendurch einzuchecken und zu schauen, wo das Team steht. Ebenfalls wichtig ist es, dafür Raum zu geben, dass es eine Zeit lang vielleicht nicht so zielgerichtet und projektorientiert zugeht. Ganz so wie bei einem Treffen auf dem Flur oder bei der berühmten gemeinsamen Kaffeepause.


Empathie funktioniert auch virtuell


Sie sagen, man müsse sich ehrgeiziger kümmern – was heißt das konkret?

Es dauert virtuell länger, beieinander anzukommen. Doch es ist nicht unmöglich, Zwischenmenschlichkeit zu übertragen. Empathie funktioniert auch virtuell, man sieht sich ja trotzdem. Als Führungskraft muss ich mir Zeit nehmen für die Kollegen – auch für Themen abseits der Projekte. Eine andere Möglichkeit ist, die direkte Zusammenarbeit zu simulieren. Einige im Team teilen sich ihre Bildschirme und arbeiten quasi live nebeneinander, ohne viel zu reden. Das mag seltsam klingen, aber es funktioniert.

Eine interessante Antwort auf die Homeoffice-Einsamkeit.

Ja, genau. Letztlich muss man sich auf die Technik einstellen, auf die Kamera, in der man sich ständig selber sieht und sich die Haare richtet. Aufgeschlossenheit und Akzeptanz müssen beide Seiten mitbringen, sonst bleibt diese Form der Zusammenarbeit fremd.

Neben dem Emotionalen geht es um konkrete Arbeitsprozesse, die zu überwachen sind. Wie funktioniert das?

Sobald man sich bewusst für mobiles Arbeiten entscheidet, muss man wissen: Das bedeutet immer auch ein Investment in Programme, Server, Hardware oder ein Rechenzentrum – aber auch in individuelle Befindlichkeiten wie das richtige Büro-Equipment für das private Umfeld, falls es erforderlich ist. Alle sollen das Gefühl haben, dass sie remote gut arbeiten können.


Standardisierung ist ein Schlüssel


Gut arbeiten bedeutet im Zweifel für jeden etwas anderes.

Ja, trotzdem muss jeder identisch ausgestattet sein. Standardisierung ist ein Schlüssel, sowohl was die Software, als auch was Strukturen betrifft. Für uns war dies ein Prozess mit klarem Learning: Anfangs haben wir einiges ausprobiert, wollten zum Beispiel bestimmte Services wie Videoconferencing oder Chat bei uns selbst hosten – am Ende des Tages haben wir uns dann doch für die großen Anbieter entschieden. Der Zusatznutzen: Die "Standardlösungen" sind auch in der Kundenkommunikation sinnvoll, denn die Kunden arbeiten selbst mit den bekannten Systemen. Ein klarer Vorteil, zumal Live-Begegnungen tatsächlich stark abgenommen haben.

Um welche Systeme kommt man im rein digitalen Business kaum herum?

Mit den großen Systemen, die mit ihrer Cloud-Architektur auf dezentralisiertes Arbeiten setzen, haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Im Kern sind das die üblichen Verdächtigen wie Adobe, Microsoft oder Atlassian. Lizenzseitig sind das zwar alles Kostenfaktoren – und ja –, wir geben auch einiges an Kontrolle aus der Hand. Aber Fakt ist: Es funktioniert sehr gut, die Teams sind zufrieden und die Kundenanbindung verläuft schmerzfrei.

Wie sieht es denn mit den Bestandsflächen aus? Es gibt noch Verträge für zwei Büro-Locations, in Hamburg und Düsseldorf...

Ja, wir haben an zwei Standorten noch physische Agenturräume. Dort halten wir aber keine spektakulären Verkehrsflächen mehr vor wie beispielsweise einen Konferenzraum für 30 Leute oder einen eigenen Bereich für den Tischkicker. Es bleibt zwar schön und wertig, aber vor allen Dingen auch zweckmäßig. Interessant übrigens: Während der Pandemie wollte die Mehrheit der Mitarbeitenden baldmöglichst wieder physisch in der Agentur arbeiten. Das hat sich inzwischen radikal geändert.


Die Remote-Nachfrage ist massiv gestiegen


Ging es nach Corona gleich in Richtung fully remote – oder waren Etappenläufe vorgeschaltet?

Für uns war zunächst alles möglich: kompletter Bürobetrieb, hybrides Arbeiten mit zwei oder drei Tagen Präsenzpflicht, komplett mobiles Arbeiten. Wir haben dem Prozess Zeit gegeben. Am Ende war die Entscheidung gefallen: Die überwältigende Mehrheit der Mitarbeitenden möchte auf die Vorteile von Home-Office und mobilem Arbeiten nicht mehr verzichten. Sie sagen unisono: So sind wir maximal effektiv. Und da ist auch was dran. Wir messen sowohl Arbeitsaufwand als auch Kundenzufriedenheit. Beides steht weiterhin in einem guten Verhältnis.

Heißt das jetzt tatsächlich: von Praktikum bis Rente physisch kontaktfrei?

Nein, es braucht Mechanismen, damit sich die virtuelle Welt immer wieder mit der realen trifft. Da ist zum Beispiel die Auflage an die Projektteams, phasenweise physisch zusammenzuarbeiten – mit dem gewünschten Begleiteffekt, dass die Interdisziplinarität zwischen beiden Standorten tatsächlich gelebt wird. Zudem finden wir uns zwei- bis dreimal im Jahr zu Festivitäten zusammen. All diese Maßnahmen benötigen zwar auch wieder ein Budget, aber das muss ermöglicht werden.

Welche Rolle spielt die HR-Abteilung in dieser neuen Arbeitswelt von Code Red.?

Eine funktionierende und kompetente HR-Abteilung ist im Idealfall der Dreh- und Angelpunkt zwischen den unterschiedlichen Interessen. HR muss viel ausgleichen, Kummerkasten und Ausrufezeichen zugleich sein – und hat eine wesentlich größere Rolle als "diplomatisches Scharnier", als sie es in der Vergangenheit hatte.

Viele Agenturen kehren vom Homeoffice wieder zur Präsenzpflicht zurück. Angenommen, remote funktioniert auf längere Sicht doch nicht für Code Red., was dann?

Aktuell fällt es mir tatsächlich schwer vorzustellen, alles wieder zurückzudrehen. Fakt ist aber auch, dass wir weiter an den Nachteilen unseres mobilen Prinzips arbeiten müssen: So fällt es nach wie vor schwer, in einem Nicht-Präsenzumfeld neue Mitarbeitende einzuarbeiten – das gilt insbesondere für jüngere Talente, die noch nicht an die virtuelle Arbeitswelt gewöhnt sind. Themen wie Praktika, Schulterblicke, Wissensvermittlung – all das ist virtuell anspruchsvoll. Hierfür haben wir noch nicht die allumfassende Lösung. Derzeit machen wir erstmal das Beste aus zwei Welten.


Büroräume haben viel mit dem Selbstverständnis einer Agentur und dem Selbstbild der Chefs zu tun. Wie fühlt man sich denn als Remote-Chef? Fehlt da etwas?

Ich habe eher das Gefühl, dass wir etwas gewonnen haben. Dort, wo ich es gewohnt bin, virtuell zu arbeiten, habe ich plötzlich Zugang zu Menschen und Ressourcen, die nicht in meinem direkten Einzugsbereich liegen. Überregionales oder sogar internationales Hiring gelingt wesentlich besser; die gelebten mobilen Strukturen sind im Bewerbungsprozess tatsächlich häufig ein Argument für uns. Es ist fast egal, wo die Mitarbeitenden wohnen. Das macht tatsächlich einen großen Unterschied in der Suche nach Talenten.

Inwiefern hat sich Ihre persönliche Wahrnehmung der Chef-Rolle verändert?

Wenn man in der physischen Welt "Chef" ist, hat man wahrscheinlich das größte Büro, einen riesigen Schreibtisch, ein Vorzimmer, das den Zugang reglementiert, und ein teures Auto. Diese Symbolik ist weg. Jetzt zählt die Persönlichkeit und nicht mehr die Insignien der Macht. Als Führungskraft ist man dadurch viel mehr Teil des Teams als vorher.

Code Red.


Unser Newsletter